Wir waren Angehörige des AB-9 (Aufklärungsbataillon) der
9. Panzerdivision in Drögeheide, Kreis Pasewalk im damaligen
Bezirk Neubrandenburg; `84 bis ´86
"Rheinischer Merkur" vom 15. Juni 1990: „Seit 1952 werden
in und um Eggesin Soldaten im Rahmen der Strategie des Warschauer
Vertrages darauf gedrillt, im Ernstfall ohne Rücksicht auf
Verluste Hamburg einzunehmen. Die 9. Panzerdivision ist eine
ideologisch abgehärtete Himmelfahrtsgruppierung, über Jahrzehnte
vollgepumpt mit stalinistischem Gedankengift, eingeschworen
auf SED und Stasi"
Da habt ihr ja direkt noch mal Schwein gehabt! Fakt ist
- ungeachtet rheinländischer Weltsicht -, daß Fallschirmjäger-,
Spezial- und Fernaufklärerverbände der NVA von ihrer Bedeutung
her zu den Einheiten gehört haben dürften, deren unmittelbare
Aufgaben mit der deutsch-deutschen Annäherung im Zuge der
politischen Wende in der DDR zuerst gegenstandslos wurden.
Die Fernaufklärer waren selbstständige Züge (1 Offizier, 8
Unteroffiziere und 13 Soldaten) innerhalb jeder der sechs
Aufklärungsbataillone der NVA-Landstreitkräfte. Im Ernstfall
direkt der Division unterstellt, hätte unsere Aufgabe darin
bestanden, an Front und gegnerischem Hinterland spezielle
Aufträge zu erfüllen, so die Aufspürung, Erkennung und Meldung
feindlicher Kampfverbände, Kernwaffen, Logistik u.ä., sowie
deren Bekämpfung im gegebenen Fall. Dinge, die heutzutage
teilweise mittels High-Tec erfolgen. In der Tat kannten wir
„FAZer" die Bundeswehr, insbesondere unseren „Erzfeind", die
im Nordosten der BRD dislozierte 6. Panzergrenadier-Brigade,
besser als unsere eigene Armee; Gegnerkunde war Schwerpunkt
neben physischer und taktischer Ausbildung. Erinnere mich
noch, wie ich mir damals wegen einer verrissenen Gegnerkunde-
Leistungskontrolle den Ausgang nach Dienstschluß versaut hatte.
„...Arsch gemacht..." , wie wir damals so sagten. Unser „Equipment"
bestand aus fünf sowjetischen Geländewagen vom Typ UAZ- 469-
B mit moderner Einkreisbremsanlage, die zum Ärger des cholerischen
Stabsfähnrich Duske bei keiner der Kisten richtig funktioniert
hatte sowie tragbaren Funkgeräten vom Typ SEG15D (VEB Funkwerk
Köpenick; in Geometrie und Masse heutigen PC´s ähnlich); einklappbare
Kalaschnikow, Pistole Makarow und Kampfmesser unsere Bewaffnung.
Dazu Mi- 8 Hubschrauber und Elitebewußtsein. „Highlights"
waren neben armeetypisch obligatem Traditions- und Disziplinsdrill
Lehrvorführungen und Taktikkomplexe. Das waren tage- und kilometerlange
Orientierungsmärsche allein oder in Gruppe mit Aufgaben in
einsatztypischen Situationen, von denen Skiläufe, Schneehöhlenschlafstätten,
Lebendviehverpflegung, geschwärzte Gesichter und wunde Füße
noch heute erinnern. Bei einem solcher Wandertage hatte Uffz.
Finke ein VS- Kartenblatt verbummelt; es wohl für hinterlistige
Zwecke mißbraucht. Als später in der Dienststelle der Verlust
des Geheimmaterials aufflog, wurde er zur bedingungslosen
Wiederauffindung verdonnert. Nach längerer Suchfahrt durch
die mecklenburgischen Wälder wurde der Kackhaufen tatsächlich
wiedergefunden und der Fetzen, auf der noch warmen Motorhaube
des UAZ behutsam entfaltet, schonend getrocknet. Leider war
es nicht das vermißte Kartenblatt; der Verlust an Kampfkraft
und Gefechtsbereitschaft blieb. Unser Kommandeur arretiert
3 Tage in der Kaserne ...
Zum Bau von Erdhöhlen unserer getarnten Wald- Basis hatten
sich „Artillerie- Knallkörper G" bewährt. Für deren Anwender
damit die „Gustav- Taufe", die nicht sehr beliebt war obwohl
sie gute Überlebenschancen bot. Denn die Zündkabel dieser
pyrotechnischen Spaßladungen (ein Kilogramm Bariumnitrat+Magnesium;
Zündverzögerung null) waren immerhin zwei Meter lang. Es war
einer der Höhepunkte unserer soldatische Stimmung, als sich
Buffi Gohl aus den baumwipfelrauschend niedergegangenen Sandmassen
barg, nachdem er unter Verwendung einer Funkgerätebatterie
tapfer den Stromkreis geschlossen hatte. Desweiteren wurden
Fallschirmabsprünge und das Hantieren mit Spreng- und Brandmitteln
geübt. Die Herstellung von Hausfrauen- Napalm, das sich nicht
abwischen, sondern nur breitschmieren läßt, ist nicht die
einzige dort erworbene Fähigkeit, die kreative Zivilanwendbarkeit
bietet, etwa als Grillkohleanzünder. Der Verzicht auf die
Schutzmaske beim Überwinden der Brandbahn läßt Eggesin- Karpin
nicht gerade als Luftkurort in der Erinnerung zurück. Die
elenden Reizgaskörper enthielten Phenacylchlorid und Hexachlorcyclohexan;
eine signifikante Krebsursache würde sich Jahrzehnte später
ohnehin schlecht erkennen lassen. Die Lehrfrage Objekteinnahme
hatte gezeigt, daß ich zum Killen von Brückenposten leider
ungeeignet bin. Bei der Uecker- Überquerung blieb ich im Schlamm
stecken, beim Anschleichen schreckte ich ein Reh auf, das
auf den Posten zurannte, danach bekam ich mit ungünstiger
Präzision einen lautstarken Niesanfall und beim entscheidenen
Sprung blieb ich mit dem Fuß am Weidedraht hängen und hieb
das Gummimesser in die Luft anstatt in die Niere des Reservisten,
der auf der Brücke Wache stand. Für Heiterkeit sorgte unser
Zeitgenosse „Power". „...wer is mit die Stiebeln über der
Flur jerannt??" kreischte er immer, wenn er schwarze Streifen
auf dem pflegeleichten Linoleum entdeckt hatte. Und als Klosi
und ich obendrein seine Lieblingskaffeetasse, die zum Pferdetränken
geeignet war, kaputtgemacht hatten, gab es fürchterlich Mecker!
Dabei glühten seine abstehenden Riesenohren wie Rubine. So
wie das Morgenrot, wenn die Sonne über den Wechselkonzentrierungsräumen
der Division aufging. Ansonsten zielten unsere Bemühungen
auf das Ausloten unserer physischen und psychischen Grenzen
sowie auf das Unterlaufen des Alkoholverbots ab. Der Situation
entsprangen so einige Ideen, z. B. der Alkoholtransport in
den tetraedischen H- Milchtüten (Picasso- Titten); Wiederverschluß
der Schweißnaht mittels Bügeleisen. Die Notwendigkeit des
Soldatseins leitete sich aus der damaligen weltpolitischen
Lage her; aus heutiger Sicht mag es leichtfallen, die Sache
als ad absurdum zu betrachten. Vier Jahre später wurde die
Notwendigkeit unseres kämpferischen Engagements allerdings
auf unerwartet andere Weise „redundant". Der Passage aus einem
„Karat"- Song „...uns hilft kein Gott, unsere Welt zu erhalten...",
ist wohl nichts hinzuzufügen.

Thomas Fischer, tf-64@t-online.de |
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