ARTIKEL 20040113a    

13.01.2004

Wir waren Angehörige des AB-9 (Aufklärungsbataillon) der 9. Panzerdivision in Drögeheide, Kreis Pasewalk im damaligen Bezirk Neubrandenburg; `84 bis ´86

"Rheinischer Merkur" vom 15. Juni 1990: „Seit 1952 werden in und um Eggesin Soldaten im Rahmen der Strategie des Warschauer Vertrages darauf gedrillt, im Ernstfall ohne Rücksicht auf Verluste Hamburg einzunehmen. Die 9. Panzerdivision ist eine ideologisch abgehärtete Himmelfahrtsgruppierung, über Jahrzehnte vollgepumpt mit stalinistischem Gedankengift, eingeschworen auf SED und Stasi"

Da habt ihr ja direkt noch mal Schwein gehabt! Fakt ist - ungeachtet rheinländischer Weltsicht -, daß Fallschirmjäger-, Spezial- und Fernaufklärerverbände der NVA von ihrer Bedeutung her zu den Einheiten gehört haben dürften, deren unmittelbare Aufgaben mit der deutsch-deutschen Annäherung im Zuge der politischen Wende in der DDR zuerst gegenstandslos wurden. Die Fernaufklärer waren selbstständige Züge (1 Offizier, 8 Unteroffiziere und 13 Soldaten) innerhalb jeder der sechs Aufklärungsbataillone der NVA-Landstreitkräfte. Im Ernstfall direkt der Division unterstellt, hätte unsere Aufgabe darin bestanden, an Front und gegnerischem Hinterland spezielle Aufträge zu erfüllen, so die Aufspürung, Erkennung und Meldung feindlicher Kampfverbände, Kernwaffen, Logistik u.ä., sowie deren Bekämpfung im gegebenen Fall. Dinge, die heutzutage teilweise mittels High-Tec erfolgen. In der Tat kannten wir „FAZer" die Bundeswehr, insbesondere unseren „Erzfeind", die im Nordosten der BRD dislozierte 6. Panzergrenadier-Brigade, besser als unsere eigene Armee; Gegnerkunde war Schwerpunkt neben physischer und taktischer Ausbildung. Erinnere mich noch, wie ich mir damals wegen einer verrissenen Gegnerkunde- Leistungskontrolle den Ausgang nach Dienstschluß versaut hatte. „...Arsch gemacht..." , wie wir damals so sagten. Unser „Equipment" bestand aus fünf sowjetischen Geländewagen vom Typ UAZ- 469- B mit moderner Einkreisbremsanlage, die zum Ärger des cholerischen Stabsfähnrich Duske bei keiner der Kisten richtig funktioniert hatte sowie tragbaren Funkgeräten vom Typ SEG15D (VEB Funkwerk Köpenick; in Geometrie und Masse heutigen PC´s ähnlich); einklappbare Kalaschnikow, Pistole Makarow und Kampfmesser unsere Bewaffnung. Dazu Mi- 8 Hubschrauber und Elitebewußtsein. „Highlights" waren neben armeetypisch obligatem Traditions- und Disziplinsdrill Lehrvorführungen und Taktikkomplexe. Das waren tage- und kilometerlange Orientierungsmärsche allein oder in Gruppe mit Aufgaben in einsatztypischen Situationen, von denen Skiläufe, Schneehöhlenschlafstätten, Lebendviehverpflegung, geschwärzte Gesichter und wunde Füße noch heute erinnern. Bei einem solcher Wandertage hatte Uffz. Finke ein VS- Kartenblatt verbummelt; es wohl für hinterlistige Zwecke mißbraucht. Als später in der Dienststelle der Verlust des Geheimmaterials aufflog, wurde er zur bedingungslosen Wiederauffindung verdonnert. Nach längerer Suchfahrt durch die mecklenburgischen Wälder wurde der Kackhaufen tatsächlich wiedergefunden und der Fetzen, auf der noch warmen Motorhaube des UAZ behutsam entfaltet, schonend getrocknet. Leider war es nicht das vermißte Kartenblatt; der Verlust an Kampfkraft und Gefechtsbereitschaft blieb. Unser Kommandeur arretiert 3 Tage in der Kaserne ...
Zum Bau von Erdhöhlen unserer getarnten Wald- Basis hatten sich „Artillerie- Knallkörper G" bewährt. Für deren Anwender damit die „Gustav- Taufe", die nicht sehr beliebt war obwohl sie gute Überlebenschancen bot. Denn die Zündkabel dieser pyrotechnischen Spaßladungen (ein Kilogramm Bariumnitrat+Magnesium; Zündverzögerung null) waren immerhin zwei Meter lang. Es war einer der Höhepunkte unserer soldatische Stimmung, als sich Buffi Gohl aus den baumwipfelrauschend niedergegangenen Sandmassen barg, nachdem er unter Verwendung einer Funkgerätebatterie tapfer den Stromkreis geschlossen hatte. Desweiteren wurden Fallschirmabsprünge und das Hantieren mit Spreng- und Brandmitteln geübt. Die Herstellung von Hausfrauen- Napalm, das sich nicht abwischen, sondern nur breitschmieren läßt, ist nicht die einzige dort erworbene Fähigkeit, die kreative Zivilanwendbarkeit bietet, etwa als Grillkohleanzünder. Der Verzicht auf die Schutzmaske beim Überwinden der Brandbahn läßt Eggesin- Karpin nicht gerade als Luftkurort in der Erinnerung zurück. Die elenden Reizgaskörper enthielten Phenacylchlorid und Hexachlorcyclohexan; eine signifikante Krebsursache würde sich Jahrzehnte später ohnehin schlecht erkennen lassen. Die Lehrfrage Objekteinnahme hatte gezeigt, daß ich zum Killen von Brückenposten leider ungeeignet bin. Bei der Uecker- Überquerung blieb ich im Schlamm stecken, beim Anschleichen schreckte ich ein Reh auf, das auf den Posten zurannte, danach bekam ich mit ungünstiger Präzision einen lautstarken Niesanfall und beim entscheidenen Sprung blieb ich mit dem Fuß am Weidedraht hängen und hieb das Gummimesser in die Luft anstatt in die Niere des Reservisten, der auf der Brücke Wache stand. Für Heiterkeit sorgte unser Zeitgenosse „Power". „...wer is mit die Stiebeln über der Flur jerannt??" kreischte er immer, wenn er schwarze Streifen auf dem pflegeleichten Linoleum entdeckt hatte. Und als Klosi und ich obendrein seine Lieblingskaffeetasse, die zum Pferdetränken geeignet war, kaputtgemacht hatten, gab es fürchterlich Mecker! Dabei glühten seine abstehenden Riesenohren wie Rubine. So wie das Morgenrot, wenn die Sonne über den Wechselkonzentrierungsräumen der Division aufging. Ansonsten zielten unsere Bemühungen auf das Ausloten unserer physischen und psychischen Grenzen sowie auf das Unterlaufen des Alkoholverbots ab. Der Situation entsprangen so einige Ideen, z. B. der Alkoholtransport in den tetraedischen H- Milchtüten (Picasso- Titten); Wiederverschluß der Schweißnaht mittels Bügeleisen. Die Notwendigkeit des Soldatseins leitete sich aus der damaligen weltpolitischen Lage her; aus heutiger Sicht mag es leichtfallen, die Sache als ad absurdum zu betrachten. Vier Jahre später wurde die Notwendigkeit unseres kämpferischen Engagements allerdings auf unerwartet andere Weise „redundant". Der Passage aus einem „Karat"- Song „...uns hilft kein Gott, unsere Welt zu erhalten...", ist wohl nichts hinzuzufügen.


Thomas Fischer, tf-64@t-online.de schliessen >>>